Auf den Spuren der deutschen Geschichte – Eine Woche in Verdun (Teil 1)

[Gastbeitrag von Friedrich]

Mit meinem Vater habe ich Ende letzten Jahres eine Reise gemacht, die mich emotional mehr mitnehmen sollte, als ich vorher gedacht hatte. Wir hatten geplant, für drei Tage nach Verdun zu fahren und die Schlachtfelder und Gedenkstätten des 1. Weltkrieges uns anzuschauen. Von dort aus wollten wir über den Norden von Frankreich wieder zurück ins Rheinland fahren. Verdun liegt im Nordosten Frankreichs und ist von Bonn aus gut mit dem Auto innerhalb von vier Stunden zu erreichen. Die Stadt erlangte traurige Berühmtheit durch die Schlacht im 1. Weltkrieg.

Diese dauerte Von Februar bis Dezember 1916 und sollte Sinnbild für die sinnlose Materialschlacht dieses Krieges werden. Das kleine Städtchen ist direkt an der Maas gelegen und bietet eine Innenstadt mit schönen Cafés und traditionellen Restaurants. Abends kann man dort gut direkt an dem neuen Kai sitzen und die Abendsonne genießen. Darauf sollte jedoch nicht das Hauptaugenmerk unserer Reise liegen. Nachdem wir mittags angekommen waren, haben wir noch den Nachmittag genutzt, um uns die Zitadelle anzuschauen.

Siegesdenkmal in der Stadtmitte

Die Zitadelle von Verudn 

Inmitten der Stadt liegend, bot diese riesige Befestigungsanlage später Platz für über 7.000 Soldaten. Erbaut im 16. Jahrhundert, wurde sie im Laufe der Zeit mehrmals weiter ausgebaut und stärker befestigt. Nachdem 1871 das Elsass durch das frisch gegründete Kaiserreich annektiert wurde und Verdun damit zur Grenzstadt wurde, wurde die Zitadelle immer wichtiger für die Verteidigungslinie gegen die Deutschen. Als im 1. Weltkrieg die Front auf wenige Kilometer an die Stadt herangerückt war, wurde die Zitadelle zur Kontaktstelle zwischen der Frontlinie und dem Hinterland; Hier saß der Generalsstab, hier kamen über die Voie Sacrée der Nachschub an Material und Soldaten aus Bar-le-Duc an.

Über einen schmalen, tiefergelegten Eingang betritt man die Anlage und kann dort in einem kleinen Museum Devotionalien aus der Zeit betrachten, in der die Zitadelle noch voller Soldaten war. Die eigentliche Befestigungsanlage kann man nur mit geführten Touren besuchen, auf denen man mittels kleiner Wagen (die sehr an die Wagen von Achterbahnen erinnern) durch die Tunnel gefahren wird. Nur ein Bruchteil der unterirdischen Tunnel wird hier durchfahren, insgesamt erstrecken sich diese über sieben Kilometer. Es wird leider nur sehr wenig über die Zitadelle und deren Geschichte selbst während dieser Fahrt erzählt. Immer wieder hält der Wagen an und man kann auf Leinwänden (Spiel)filme anschauen, in denen ein fiktiver französischer Offizier seine Geschichte während des 1. Weltkrieges erzählt. Für jemanden, der viele Informationen und Fakten über die Zeit erfahren will, ist das sicherlich enttäuschend. Für jemanden, der sich noch nicht wirklich mit dem Krieg beschäftigt hat, kann das vielleicht ein guter Einstieg sein, um dann danach das Museum im Verdun Memorial und die eigentlichen Schlachtfelder zu besuchen. Auf jeden Fall muss man sich warm anziehen, in der Zitadelle herrschen konstante 7 Grad Celsius!

Verdun, im Hintergrund das zentrale Schlachtfeld

Das Verdun Memorial 

Am nächsten Morgen sind wir dann früh losgefahren, um zunächst das Verdun Memorial anzuschauen, das im Nordosten Verduns am Rande des zentralen Schlachtfeldes liegt. Von der Innenstadt aus ist man mit dem Auto innerhalb von 15 Minuten am Museum angelangt. 2016 wurde es nach einem Umbau und einer Neukonzipierung wiedereröffnet und das lässt sich sehen! Mit viel Sorgfalt und einem durchdachten Konzept wird man über zwei Etagen durch die Vorkriegszeit, den eigentlichen Krieg und die Zeit danach gelotst. Jedes Exponat wird auf drei Sprachen (Französisch, Deutsch, Englisch) erläutert. Große Teile des Museums sind bewusst sehr düster und von der Architektur sehr brutal gehalten, um bei dem Besucher eine beklemmende Stimmung zu erreichen. Zu sehen sind ausgewählte, gut arrangierte Objekte, die dem Besucher einen anständigen Eindruck von dem Leben, der Ausrüstung und an manchen Stellen auch von dem Leiden der Soldaten vermitteln. In der Mitte des Museums befindet sich eine riesige Leinwand in Gestalt eines deformierten Hügels. Auf ihr werden original Filmaufnahmen von Schlachten gezeigt, untermalt von donnernden Kanonen. Im ganzen Gebäude hört man permanent diese beängstigende Geräuschkulisse. Trotz der guten medialen Aufbereitung bleibt das Museum im Endeffekt ein wenig distanziert. Was es letztendlich bedeutet, wieviel Material in so einer Materialschlacht verpulvert wurde, blieb allein meiner Phantasie überlassen. Erst als wir dann auf den Schlachtfeldern angekommen waren und den zerschossenen Boden und die zerstörten Bunker und Forts sahen, bekam ich ansatzweise eine Vorstellung davon, was dort geschehen sein muss.  Trotzdem lohnt es sich, das Museum zu besuchen und man sollte mindestens zwei Stunden einplanen.

Im Prinzip ist es möglich, jede Sehenswürdigkeit des zentralen Schlachtfeldes mit dem Auto anzufahren. Die Straßen sind neu und gut ausgebaut und bei jedem Museum oder Fort gibt es Parkplätze. So ist es dann auch sicherlich möglich, dass man sich alles innerhalb eines Tages anschauen kann, wenn man nicht so viel Zeit mitbringt. Allerdings entgehen dann einem viele kleine Gedenkstätten und vor allem die von dem Krieg gezeichnete Landschaft. Deshalb haben wir das Auto bei dem Memorial abgestellt und uns zu Fuß auf den Weg zum Beinhaus gemacht. Als die Schlacht im Februar 1916 in Verdun begann, standen schätzungsweise auf beiden Seiten 2,5 Millionen Artilleriegranaten bereit. Es gibt Schätzungen, nach denen nur am ersten Tag der Schlacht 120.000 Granaten auf jeden Quadratkilometer des 40 Kilometer langen Frontabschnittes fielen. Innerhalb kürzester Zeit waren ganze Wälder und Dörfer vom Erdboden verschwunden. Wenn man heute das erste Mal in das Gebiet des zentralen Schlachtfeldes kommt, erwartet einen zunächst dicht gewachsenen Wald. Der Boden ist überraschend wie Schüsseln geformt, eine neben der anderen. Erst nach einer Weile ist mir aufgefallen, dass sich hier Granattrichter an Granattrichter reiht; und das über das komplette Areal, es gibt praktisch kaum ein Stückchen Erdboden, das nicht deformiert, sondern unberührt ist! Nach dem Memorial war dies das erste Mal, dass ich wirklich mit den realen Auswirkungen der Wucht dieser kriegerischen Ereignisse konfrontiert wurde.

 

Überall sind die Granattrichter zu erkennen

Das Ossuaire de Douaumont

Das Beinhaus von Douaumont ist einen strammen Fußmarsch von ungefähr 20 Minuten vom Memorial entfernt. Mit dem Bau des Beinhauses wurde direkt zu Beginn der 20iger Jahre angefangen und nach 12 Jahren wurde er abgeschlossen. Hier werden die Gebeine von 130.000 nicht mehr identifizierbaren französischen und deutschen Soldaten aufbewahrt. Direkt vor dem Beinhaus befindet sich ein Friedhof, auf dem über 16.000 Gräber stehen. Neben den christlichen Gräbern befinden sich hier ebenfalls (nach eigenen Schätzungen) neben 2.000 jüdischen Gräbern auch 2.500 muslimische, nach Mekka ausgerichtete Gräber für die Gefallenen aus den französischen Kolonien. Das Ossuaire de Douaumont wird links und rechts in einiger Entfernung ebenfalls für diese Soldaten von einer Gedenkstätte flankiert. Als ich gelesen habe, dass allein in dieser Schlacht über eine halbe Million Menschen verwundet oder getötet wurden, war das eine so unvorstellbare Dimension für mich. Hier bekam ich zumindest einen Eindruck, in welcher Größenordnung sich das Geschehen bewegt haben muss.

Das Beinhaus von Douaumont

Die Legende von La Tranchée des Baïonnettes

Auf der linken Seite befindet sich das erste von vielen, sich in diesem Gebiet befindlichen Befestigungswerken: Das Zwischenwerk Thiaumont (Ouvrage de Thiaumont). Im Laufe der Schlacht 1916 wurde es stark von den Deutschen bombardiert und konnte schließlich im Juni von ihnen besetzt werden. Es wird daraufhin von den Franzosen zurückerobert, fällt aber wieder im Laufe des Sommers in die Hände der Deutschen. Erst im Oktober 1916 konnte die Franzosen es sich wieder besetzen. Man merkt hier, wie man sich sinnlos und erbittert um teilweise noch nicht einmal hundert Meter Erde bekriegt hat. Das komplette Zwischenwerk ist nur noch ein kleiner Hügel, der von Gras bewachsen ist. Er ist zwar zugänglich, allerdings findet sich kein Eingang mehr nach innen. Wenn man dort entlang geht, muss man sehr auf die sich im Boden befindlichen Stahlstreben aufpassen. Zum Teil sind diese zwar abgeschnitten worden, trotzdem kann man sich immer noch ordentlich dabei verletzten. Wenn man vom Ossuaire de Douaumontder Straße Richtung Norden folgt, kommt man zu einer weiteren Gedenkstätte: Der La Tranchée des Baïonnettes. In dieser kleinen Schlucht neben dem Berg Thiaumont wurden nach dem Krieg mehrere aus dem Boden ragenden Bajonette entdeckt.

Es handelt sich dabei um Gewehre, die immer noch von ihren Besitzern in der Hand gehalten werden. Um diesen Fund spann sich die Legende, dass die Soldaten aufrechtstehend von Granateinschlägen zugeschüttet wurden. Ein amerikanischer Industrieller hat dafür dieses Denkmal errichten lassen. Leider wurden immer wieder die Bajonette gestohlen, sodass man heute nur noch mit viel Glück die Mündungen der Gewehre erkennen kann. Um nun zu dem Fort de Douaumont zu gelangen, muss man den gleichen Weg aus der Schlucht heraus wieder zurück zu dem Beinhaus gehen und der Straße weiter nach Osten folgen. Hier ergibt sich die Möglichkeit, etwas abseits der Straße und befestigten Wege zu gehen und einigen noch gut erkennbaren Laufgräben zu folgen, die zu dem Infanteriewerk 361 „Abri Adalbert“ führen. Es ist wieder ein Hinweis darauf, welche Kräfte hier 1916 geherrscht haben müssen, wenn man sich die starken Betonplatten anschaut, die sich wie Butter in der Sonne verformt haben.

Ein zerstörtes Infanteriewerk

In alten Gräben durch den Wald 

Sobald man abseits der Wege geht, muss man seinen Blick sehr auf den Boden gerichtet haben. Noch immer liegen an vielen Stellen nicht nur Stahlträger und -streben im Boden, sondern ebenfalls noch Unmengen an Blindgängern. Bei den Gedenkstätten, Forts und anderen Zwischenwerken wird der Boden sehr gepflegt und es wird darauf geachtet, dass die Natur nicht über die Befestigungen wuchert, sondern dass sie und vor allem ihre Zerstörungen gut sichtbar bleiben. Daneben jedoch ist alles dicht zugewuchert und hier wurde nicht viel geräumt. In der Gegend um Verdun herum holen immer noch Bauern nach starken Gewittern beim Pflügen der Felder nicht nur Granaten, sondern auch Knochen und Waffen aus der Erde.

Bevor wir direkt zu dem Fort Douaumont gegangen sind, haben wir einen kleinen Abstecher zu dem Dorf Douaumont im Norden des Forts gemacht. Dies ist eines der ungefähr ein Dutzend Dörfer in der Umgebung Verduns, die komplett zerstört und nicht wiederaufgebaut wurden, da der Boden voller Granaten und Giftgas war. Ist man dort angekommen, gibt es eigentlich nicht viel zu sehen. Eine kleine Gedenkkapelle ziert die ehemalige Dorfmitte, ansonsten sieht man nur hier und dort einige Ziegelsteine liegen. Douaumont ist im wahrsten Sinne des Wortes dem Erdenboden gleich gemacht worden. Über einige Trampelpfade gelangt man schnell von hier aus zu dem Fort.

Laufgräben durchziehen immer noch den Wald

Das Fort Douaumont

Das Fort Douaumont wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und bis 1913 immer weiter ausgebaut und verstärkt. Es ist mit eines der größten Forts des Verteidigungsgürtels von Verdun und man muss sich für die sehr gute und empfehlenswerte Führung durch die Anlage mindestens eineinhalb Stunden Zeit nehmen. Nachdem immer bessere und bunkerbrechende Granaten erfunden wurden, musste das Fort weiter befestigt werden: Zum Schluss bestand die Decke zunächst aus einem Meter Beton, darauf ein Meter Sand, auf dem wieder zwei Meter Stahlbeton verbaut wurden; zum Abschluss wurden bis zu drei Meter Erde aufgeschichtet. Nichts davon hat geholfen: das Dach des Forts, das sich betreten lässt, ist mehr als nur gezeichnet der vielen Einschläge, die an vielen Stellen metertief in den Boden gehen.

Auch diese Befestigungsanlage wechselte im Laufe des Krieges unzählige Male den Besitzer. Da es für die Franzosen einen hohen ideellen Wert besaß, unternahmen sie jedes Mal große Anstrengungen, um es wieder zurück zu erobern. In den Gängen des Forts wurden die Verwundeten versorgt und wurden teilweise die Toten gestapelt, die aufgrund des starken Beschusses nicht sofort beerdigt werden konnten. Ebenfalls wurden durch den Beschuss einige der Schächte für die Luftzufuhr zerstört, sodass im Inneren ein bestialischer Gestank von Fäkalien, faulenden Wunden und Leichengeruch geherrscht haben muss.

Der Haupttunnel im Fort

Das Ende des 1. Tages

Die Untergeschosse sind unglaublich kalt und so feucht, dass die Steinmauern komplett mit Kalk verkrustet sind. Und hier haben Menschen monatelange überlebt?! Im Mai 1916 explodierte während einer Periode der deutschen Besatzung das Granatdepot. Knapp 1.000 deutsche Soldaten kamen dabei ums Leben; um irgendwie der Lage Herr zu werden, wurden aus Zeitgründen im Folgenden 679 von ihnen in eine Kasematte gebracht und der Eingang zugemauert. Dieser „deutsche Friedhof“ besteht immer noch und wird von den Franzosen gepflegt. Mit diesen Eindrücken haben wir am späten Nachmittag das Fort verlassen und uns auf den Rückweg zum Memorial zu unserem Auto gemacht. Am nächsten Tag wollten wir noch das Fort Veaux, die Anhöhe Toter Mann (Le Mort Homme), den Hügel von Vauquois und die Voie Sacrée besichtigen (Teil 2 folgt).

Das Dach des Forts Douaumont

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